Eine einzige Chance

Ich muss diesen Post einfach auf Deutsch schreiben. Gestern Mittag saß ich mit meinen beiden Jungs vorm Fernseher und habe das Spiel Brasilien gegen Mexiko angeguckt – logisch, meine beiden Söhne sind Mexikaner. Das Spiel war spannend, fesselnd, die Mexikaner nicht nur unserer Meinung nach mindestens gleichauf mit den Brasilianern für das Gros der Spielzeit. Zu WM-Zeiten wird schließlich jeder mehr oder weniger zum Experten. Okay, im Angriff hätte “el Tri” etwas mehr Druck machen können, dafür war die Verteidigung mehr als solide und dann natürlich – der Torwart. Unglaublich! Sechs Mal versuchten die Brasilianer, den Ball im mexikanischen Netz zu versenken, und jedes Mal hielt Guillermo Ochoa.

In der 26. Minute, als Neymar aufs mexikanische Tor köpfte, griff ich erstmals zum Panini-Album meiner Söhne, um zu schauen, wer denn dieser Ochoa eigentlich ist. Nicht drin. Dafür klebte da ein Bild von Jesús Corona. Mein Ältester erklärte mir, dass “Memo” (mexikanischer Kurzname für Guillermo) zum Nummer-1-Torwart der Mexikaner avancierte, nachdem Corona sich beim Vorbereitungsspiel gegen Iran verletzt hatte.

Ein paar Stunden nach Spielende gehe ich auf Spiegel Online und finde dort unter der Überschrift “Mexikos WM-Held Ochoa” einen Lobgesang auf den 28-jährigen Keeper. Der Einstieg ist genial: “Manchmal genügt eine einzige Partie, um sich unsterblich zu machen. Für Guillermo Ochoa war das Duell zwischen Mexiko und Brasilien so ein Spiel.” Die Zeile “Die Backsteinmauer aus Guadalajara” kommt dafür etwas sperrig daher, auch wenn sie sich auf ein Bild von Ochoa auf Twitter bezieht, das kurz nach dem Spiel dort gepostet wurde: Der Torwart als Wand aus Ziegelsteinen, an der nicht mal ein von einem Panzer abgefeuerter Ball vorbeikommt.

Mein Mann kommt nach Hause und ich sage zu ihm belustigt: “Guck’ mal, sogar die Deutschen schreiben über Ochoa.” Er schaut mich etwas erstaunt an und meint. “Naja, die Bälle waren ja nun auch wirklich unhaltbar.” Wie gesagt – zu WM-Zeiten wird schließlich jeder mehr oder weniger zum Experten; ich ganz offensichtlich weniger.

Trotzdem weiß auch ich mittlerweile, dass Ochoa beim Spiel am Dienstag laut Oliver Kahns O-Ton im ZDF “die beste Torwartleistung bisher bei dieser WM” hingelegt hat und damit von der deutschen Torwartikone “geadelt” wurde (Focus Online). Dass sein Halten von Neymars Kopfball in der 26. Minute von brasilianischen Kommentatoren sogar mit der “Jahrhundertparade” des Engländers Gordon Banks gegen Pelé bei der WM 1970 verglichen wurde (FAZ). Dass Ochoa das “Spiel seines Lebens” präsentiert hat (Kicker).

Für mich als Hobby-Fussballerin viel interessanter ist, dass der Nord-Mexikaner, der sein Profi-Debut mit 17 Jahren beim größten mexikanischen Club América hatte, schon zu zwei WMs mitgefahren ist, aber immer nur auf der Bank saß. Dass er 2007 bereits in Mexiko Superstar-Status erreichte, nachdem er in der Copa América mit der Nationalmannschaft 2-0 gegen Brasilien gewann. Und dass er eigentlich vor drei Jahren von América zu Paris Saint-Germain wechseln sollte, das aber platzte, nachdem der damals 25-jährige (und vier weitere mexikanische Spieler) bei einer Dopinguntersuchung positiv getestet wurden. Zwar stellte sich zwei Monate später heraus, dass die erhöhten Werte vom Verzehr von Fleisch herrührten – doch da hatte Paris Saint-German sich bereits anders entschieden. Ochoa wechselte zum gerade in die französische Ligue 1 aufgestiegenen Verein Ajaccio auf Korsika.

Und mit Ajaccio stieg er jüngst wieder ab – nach einer verheerenden Saison, gerade mal vier Siege, insgesamt 72 Gegentore in 38 Spielen. Ochoa hatte 2011 einen Dreijahresvertrag unterzeichnet, und die Option auf ein Verlängerungsjahr, jetzt allerdings in der 2. Liga, wollte der Mexikaner nicht wahrnehmen. Nach Brasilien fuhr er also als “free agent”, man kann auch sagen ohne aktuellen Arbeitgeber, doch sicher wird sich da schnell ein neuer und deutlich besserer finden nach dem Spiel vom Dienstag. Und das ist für mich der tollste Dreh an dem ganzen Ochoa-Hype: Manchmal genügt eine einzige Chance, um zu zeigen, was in einem steckt!